Die Nacht im Moor
von Joachim Acker

Manchmal ist es seltsam mit der Erinnerung, du hörst
ein Geräusch, vielleicht die Melodie eines Liedes, irgendein
Duft dringt in deine Nase, du siehst etwas das dir bekannt vorkommt
und schon mag es sein, dass aus dem Dunkel der Vergessenheit
Erinnerungen hervorsteigen.
Letztes Jahr im Sommer war es, ich saß auf der Gartenbank
und war dabei meine Pfeife zu füllen als mir plötzlich
der Geruch von wildem Thymian in die Nase stieg. Da tauchte aus
meinem Gedächtnis längst Vergessenes auf.
Vor vielen Jahren wanderte ich
einmal an einem einsamen Hochmoor entlang, getreu den Ermahnungen
der Alteingesessenen achtete ich sehr darauf nicht vom Weg abzukommen.
Schon manch einer sei hier auf Nimmerwiedersehen verschwunden
wurde ich nachdrücklich gewarnt.
An einer Weggabelung stand eine ziemlich morsche Bank, ich
setzte mich und füllte meine Pfeife, zündete sie an
und saß dann behaglich rauchend da, mit mir und der Welt
zufrieden.
Hoch oben in den Lüften kreisten Bussarde, wie aus sehr
weiter Ferne hörte ich ihr hiäh, hiäh rufen. Es
war das einzige Geräusch das ich hörte, eine tiefe,
selten gehörte Stille lag über dem Land.
Der Geruch von wildem Thymian stieg mir von irgendwoher in
die Nase, ein kräftiger aromatischer Geruch. Ich roch ihn
gern, den Thymian.
Zwei Männer kamen vorbei, in den Händen trugen sie
lange, seltsam geformte Spaten. Sie grüßten den Fremden
freundlich und setzten sich ebenfalls auf die Bank. Beide zogen
kleine, nicht sehr gepflegt aussehende Pfeifen aus der Tasche
und füllten sie aus ihren Tabaksbeuteln. Als die Pfeifen
dann brannten verströmte aus ihnen ein Duft der nicht sonderlich
angenehm war. Wir unterhielten uns ein bisschen und so erfuhr
ich, dass die beiden Torfstecher waren und hier im Moor ihrer
Arbeit nachgingen. Bald verabschiedeten sie sich und ich blieb
allein auf der Bank zurück, rauchte meine Pfeife zu Ende
dann setzte ich ebenfalls meinen Weg fort.
Der Himmel begann sich zuzuziehen, ein frischer Wind kam auf,
Nebel begann aus dem Moor aufzusteigen wurde dichter und dichter.
Ein Wetterumschwung zeichnete sich ab. Das ich vom Weg abgekommen
bin merkte ich erst als es unter meinen Schuhen verdächtig
quietschte und mein Tritt eigentümlich weich und matschig
wurde. Es begann zu allem Überdruss auch noch zu regnen,
ein feiner Sprühregen der langsam und beharrlich die Kleidung
durchnässen würde.
An ein Weitergehen war unter diesen Umständen nicht mehr
zu denken, viel zu gefährlich war es für den ortsunkundigen
Wanderer. Einige Felsen, von dürren abgestorbenen Bäumen
umstanden, boten mir Zuflucht und Unterstand an. Und als ob Regen,
Nebel und kalter Wind nicht schon genug Plage wären, senkte
sich langsam aber stetig die Dämmerung übers Land und
über den nun doch etwas verängstigten Wanderer.
Und dann saß ich da in der Dunkelheit, frierend und
langsam hungrig werdend. Der Versuch ein Feuer zu entfachen scheiterte
an der Nässe und Morschheit des Holzes das ich noch im allerletzten
Tageslicht sammelte. Der Regen hörte auf und der Nebel stieg
wieder wabernd alles umfließend vom Moor auf. Und mit dem
Nebel kam die Nacht und mit ihr aller Schrecken den ein einsames
Hochmoor aufbieten kann.
Seltsame, noch nie
gehörte Geräusche drangen an meine Ohren, im bleichen
Licht des Mondes nahmen Büsche und die verdorrten Bäume,
die Felsen die überall waren bizarre unheimliche und bedrohliche
Formen an. In der Ferne hörte ich heiseres Bellen, es kam
näher, ich hörte rascheln im Gestrüpp, glaubte
in meiner Einbildung funkelnde Augen gesehen zu haben, dann war
wieder Stille. Schreckliche Geschichten die Nachts nur leise
und flüsternd an den Lagerfeuern erzählt wurden kamen
mir in den Sinn: der Kampf des Helden Beowulf mit dem fürchterlich
grausamen Grendel, der Hund von Baskerville der eine ganze Moorlandschaft
in Angst und Furcht versetzte. Furcht ergriff mich!
Der einzige Trost in dieser Nacht
war meine Pfeife, wenigstens für eine paar Stunden. Etwas
was mir noch nie passiert war trat ein: ich hatte nicht genügend
Streichhölzer dabei. Kälte, Hunger, Nebel und keine
Pfeife dazu noch mitten im Moor, was war das für eine Nacht!
Endlich kam der ersehnte Morgen, die ersten Sonnenstrahlen
gingen übers Land und tauchten das Moor in ein Licht das
herrlicher und schöner nicht sein konnte.
An all dies Geschehen, so lange schon her und nahezu vergessen,
erinnerte ich mich als in meinem Garten der Duft des Thymians
in meine Nase kam.
 |