Der "Schwarze Drachen" wird renoviert

von Joachim Acker

 

Als ich nach einem langen und sehr arbeitsreichen Tag meinen geliebten Drachen betrat um mich im Kreise meiner Pfeifenfreunde von der Unbill und den Schrecken des Tages zu erholen und mich am Eintopf und einem kühlen Trunk zu laben, erwartete mich schon eine recht fröhliche Runde. Etwas zu fröhlich für meine Begriffe und der frühen Uhrzeit nicht so recht angemessen, ein unbestimmtes Unbehagen überfiel mich und ich sah mich und alle meine Freunde bereits wieder vor dem Richtertisch stehen.

Nun, um es vorweg zu nehmen und euch geneigter Leser zu beruhigen, die ausgelassene Stimmung hatte keine tiefgreifenden Folgen die uns wiederum und zum ungezählten Male zum Gespött der Stadt gemacht hätten, wenigstens nicht an diesem Abend.

Als wir nun so lustig und guter Dinge zusammen saßen, unsere Pfeifen rauchten deren Qualm mit dem mitunter mehr als merkwürdigen Aroma die kleine Gaststube durchwaberte, trat Paulchen der Wirt zu uns, setzte einen frischen Krug mit Most auf den Tisch, sagte uns, dass dies ein Geschenk des Hauses sei und erzählte uns dann von seinen kühnen Plänen.
Er wolle, so berichtete er uns, die Gaststube renovieren, die Wände in gefälligen Farben anstreichen, einen Balken an der Decke erneuern, ein weiteres Fenster einbauen und lauter solche Sächelchen, ob wir ihm da nicht zwecks Kostenersparnis, etwas helfen könnten. Natürlich sagten wir da ganz begeistert zu, waren wir doch alle überzeugte und tatkräftige Heimwerker die vor keiner noch so großen Herausforderung zurückschreckten. Solch eine wahrhaft kühne Aufgabe kam unseren Fähigkeiten sehr entgegen, nun konnten wir unter Beweis stellen, dass wir nicht immer nur Chaos und Schrecken um uns herum verbreiteten.

Er solle uns mal die Pläne zeigen damit wir uns ein Bild von seinem Vorhaben machen könnten meinte Franz. Für solch paar absolut lächerliche Kleinigkeiten brauchen wir keine Pläne war die Antwort von Paulchen, das machen wir mit Links und ganz ohne irgendwelche Probleme. Pläne würden nur zum Unverständnis und zur totalen Verwirrung beitragen, fügte er dann noch hinzu. Beifälliges Kopfnicken unsererseits bekräftigten den Wahrheitsgehalt dieser weisen Worte. Pläne sind etwas für Laien und Anfänger war unsere einstimmige Meinung.

Wohlauf, Wohlan, zum vereinbarten Tag trafen wir uns in aller Frühe (kaum dass der Hahn gekräht hat) im Drachen, nahmen noch einen tüchtigen Schluck, versammelten uns dann im Halbkreis und Paulchen teilte uns für die betreffenden Arbeiten ein. Das Werkzeug wurde ausgegeben, die Pfeifen gefüllt und entzündet und die Arbeit zur Verschönerung unseres Stammlokales begann.

Zuerst begannen wir mit dem Mauerdurchbruch für das neue Fenster, große schwere Hämmer wurden geschwungen, krachten gegen das erbebende Mauerwerk, Steinsplitter flogen durch den Raum, Staub wirbelte auf und sorgte dafür dass wir unersättlichen Durst bekamen den wir aus den Krügen zu löschen versuchten.

Endlich nach langem Hämmern und Klopfen gelang uns der entscheidende Wanddurchbruch, den wir durch weiteres Klopfen und Hämmern nach den Seiten, nach oben und unten verbreiterten. Es sah schon ganz gut aus, stellten wir befriedigt fest. Die neue Fensteröffnung hatte allerdings nur den klitzekleinen Fehler, dass sie im Vergleich zu den anderen Fenstern weit über einen Meter zu tief lag und mehr die Form eines Parallelogramms denn eines rechtwinkligen Rechtecks hatte. Dies sei aber kein Problem sagten wir, das zuviel weggeschlagene Mauerwerk können wir wieder hochmauern, Steine dazu hätten wir ja genug und dass die rechten Winkel noch nicht einmal annähernd stimmten wäre ebenfalls eine Kleinigkeit, das werden wir noch ausrichten. Paulchen rannte ganz aufgeregt mit dem Meterstab hin und her, gab kurze aber sehr präzise Anweisungen und wir begannen wir wieder zu klopfen und zu wühlen. Erneut wirbelte Staub auf, nahm uns Sicht und Atem, schließlich, nach langer und schwerer Arbeit, waren wir fertig. "Bisschen groß die Öffnung", sagte Paulchen lakonisch, "Nun, dann machen wir eben ein Doppelfenster hinein, dann kommt auch mehr Licht in den Gastraum". So ganz glücklich sah er aber bei diesen Worten nicht aus hatte ich das Gefühl.

Inzwischen war es Mittag geworden, wir stärkten uns am köstliche Eintopf den die Frau Wirtin mit Liebe und Hingabe gekocht hatte, erfrischten uns noch an einigen Bechern des köstlichen Mostes, füllten erneut unsere Pfeifen und begannen dann den zweiten, sehr schwierigen und höchst anspruchsvollen Teil unserer Arbeit: Die Erneuerung eines Deckenbalkens. Leitern wurden angeschleppt, wackelsicher aufgestellt und dann begannen Fred und Otto an dem einen, der Schaufler und ich am anderen Ende zu sägen. Es war eine sehr mühselige, anstrengende und schweißtreibende Sägerei, das kann ich euch sagen. Aber wir schafften es, der Balken war durch, er löste sich und stürzte krachend zu Boden, von uns allen aufs freudigste bejubelt.

Welch schrecklichen Fehler wir gemacht hatten, zeigte sich wenige Augenblicke später als mit einem eigenartigen knirschen und knacken die Decke breite Risse bekam und an einem Ende sich langsam aber sicher unaufhaltsam absenkte. Wie eine Rampe lag die Decke, staubumwirbelt im Gastraum und auf ihr rutschte ein Badezuber mit der darin badenden Hausmagd Franziska, schaumbedeckt wie weiland Aphrodite, die in wilder Panik schrille Quietscher von sich gab, herunter.

Es war ein Anblick der uns Männer natürlich sehr erfreute und erheiterte und begeistert applaudierten wir, Franziska dagegen fand es weniger spaßig denn sie hopste mit einem gewaltigen Satz aus dem Zuber und flüchtete mit wildem Gekreisch. Fürwahr, es war ein köstlicher Augenblick als die gewiss nicht federgewichtige Franziska pudelnass und rosig schimmernd das Weite suchte.

Einzig und allein Paulchen machte zu dem Ganzen ein sehr unglückliches Gesicht, betrübt und irgendwie verbittert aussehend betrachtete er den daniederliegenden Deckenteil, sein Gesicht lief zusehends rot an und schließlich entlud sich sein Unbehagen in den allerschrecklichsten Schimpfwörtern die es wohl in der ganzen Stadt, ach was sage ich, im ganzen Tal gab. Er regte sich so fürchterlich auf, dass wir es doch etwas mit der Angst zu tun bekamen und um sein weiteres Wohlergehen fürchteten. Vorsichtig und behutsam, um ihn nicht weiter aufzuregen, setzten wir ihn auf einen Stuhl und gaben ihm aus dem Mostkrug zu trinken. Nach langer Zeit und unter beruhigendem Zureden fand der Gute schließlich seine Fassung wieder und wurde von seiner werten Frau Gemahlin, die wir während des ganzen Geschehens sprachlos erlebten (was eine große Seltenheit war) in einen Nebenraum geführt.

Dass es von der zerstörten Decke langsam aber stetig und in zunehmender Menge herabtropfte, bemerkten wir erst eine Weile später, offensichtlich hatte eine Wasserleitung einen geringfügigen Schaden erlitten. Urplötzlich ergoss sich ein wahrer Sturzbach auf uns und in ziemlicher Hast und Eile begannen wir den Haupthahn der Wasserzufuhr zu suchen. Im Keller wurden wir fündig und konnten die Wasserflut, bevor sie den Gastraum in ein Aquarium verwandelte, zum Versiegen bringen.

Den Rest des Abends und die halbe Nacht waren wir tapferen Mannen dann beschäftigt den durchnässten Schutt und Dreck aus dem Drachen zu karren, den Fußboden einigermaßen trocken zu legen, die Decke notdürftig abzustützen und immer wieder begütigend auf Paulchen einzureden und ihn mit einem Becher Most zu erquicken.
Dies unvorhergesehene aber durch mehr Weitsicht vermeidbare Missgeschick hatte den Armen doch sehr getroffen denn immer wieder tauchte er in der Stube auf, zeigte mit der Hand auf das gähnende Loch in der Decke und murmelte unverständliche Worte vor sich hin.
Schnuffi hatte schließlich, es ging schon gegen Mitternacht zu, die rettende Idee: Durch das Loch in der Decke sollte eine Treppe in den oberen Stock geführt und dort ein kleiner Gastraum eingerichtet werden. So könne der Drachen mehr Gäste aufnehmen, was sich wiederum in der Kasse von Paulchen positiv bemerkbar machen würde. Bei diesem Vorschlag erhellte sich das Gesicht unseres Wirtes zusehends und begeistert stimmte er diesem Plan zu.

Ja, so verlief nun die große Renovierung des >Schwarzen Drachens<, nicht gerade so wie wir es uns alle vorgestellt hatten aber dennoch zu einem halbwegs gutem Ende. Eine kleine Missstimmung gab es allerdings noch als Otto Paulchen den Vorschlag machte, wir Stammtischler könnten ihm doch die Treppe bauen und sie zur Ehre seiner Dienstmagd >Franziskas Rutsche< nennen.

Wenn Sie nun, geneigter Leser, einmal in unser Lokal kommen, dann gehen Sie ruhig die breite Treppe hoch um im oberen Gastraum Platz zu nehmen, einen Becher Most zu trinken und vom köstlichen Eintopf zu speisen.
Sie können beruhigt sitzen: Die Decke wird halten.