Die Flußfahrt der Stammtischfreunde
von Joachim Acker

Müde, noch immer ziemlich feucht und verschmutzt kam
ich an jenem denkwürdigen Tag nach Hause, setzte mich, dreckig
wie ich war, total erschöpft in meinen Sessel und streckte
meine schmerzenden Füße weit von mir. Als nächstes
füllte ich mir eine Pfeife mit meinem Lieblingstabak und
als die ersten Rauchwolken durch die Stube zogen, ließ
ich das ganze Geschehen nochmals durch meinen Kopf gehen.
Lasst es mich aber lieber der Reihe nach schildern und erzählen,
mit kümmerlichen Worten in Sätze fassen, was eigentlich
unfassbar, unbeschreibbar ist. Also beginnen wir ganz vorne,
am Anfang.
Dieser lag schon einige Zeit zurück:
Es war Abends, ein lauer, ereignisloser Frühsommertag
neigte sich dem Ende entgegen. Hungrig nach Speis,Trank und Unterhaltung
betrat ich den "Schwarzen Drachen" um mich zu erlaben.
Alle Pfeifenkameraden waren da und wenn ich sage alle dann waren
es auch alle: auch die schon lange vermissten Freunde Fred und
der Schaufler. Beide grinsten mich vergnügt an und erzählten,
dass ihr verschärfter Hausarrest endlich zu Ende sei und
sie unter gewissen, allerdings ziemlich strengen Auflagen ihrer
lieben Ehefrauen wieder zum Stammtisch kommen dürften. So
eine freudige Nachricht musste natürlich gefeiert werden
und wir bestellten uns einen Krug Most und tranken uns fröhlich
zu. Die Pfeifen rauchten um die Wette, die Stimmung war hervorragend,
und unser Gelächter noch weit vor dem Drachen zu hören.
Franz, der Apotheker, jubelte plötzlich laut auf und
fuchtelte wild und aufgeregt mit den Händen in der Gegend
herum: "Ich habe eine tolle Idee", rief er. Und weil
der Apotheker Franz noch niemals eine Idee, geschweige denn eine
tolle hatte, hörten wir gespannt zu wie er uns, mit vor
Aufregung ganz rotglänzenden Wangen, mitteilte dass wir
doch alle zusammen einmal eine Kahnfahrt auf dem Fluss machen
könnten. Er kenne einen Fischer dessen Kahn würden
wir zu diesen Zweck bekommen. Und unsere Ehedamen könnten
wir mitnehmen, ihnen würde so ein Ausflug ebenfalls gefallen,
fügte er noch hinzu. Mit den Eheherzallerliebsten zusammen
eine Fahrt zu unternehmen löste bei einigen der Freunde
gelindes Entsetzen aus aber sie kamen dann zur Einsicht, dass
dies doch irgendwie einen guten Eindruck machen würde. Mich
beschlich zu diesem Zeitpunkt ein ungutes Gefühl, es war
nicht gerade Angst oder Furcht vor etwas das unvermeidbar kommen
würde, es war einfach ein unbeschreibbares Unwohlsein bei
dieser Geschichte, eine gewisse Art von düsterer Vorahnung.
Gesagt und getan: es wurde ein Termin vereinbart und dann
trafen sich die Freunde samt einigen Gattinnen am Fluss. Der
Kahn lag bereit, beladen mit allerlei Dingen die für so
eine Fahrt unerlässlich sind: Mostfässer, Körbe
mit Grillwürsten für ein angestrebtes Picknick und
andere leckere Sachen mehr.
Otto, der Leiter des Jungfrauenchores, bediente den Motor.
Er hatte zwar von Technik und solchen Sachen keine Ahnung, aber
es fand sich sonst niemand für dieses heikle Amt. Fred wurde
ans Ruder gestellt und der Schaufler wurde, weil er was vom Angeln
verstand, zum Kapitän befördert.
Ja, so ging die Fahrt los, die Stadt entschwand unseren Augen,
wir waren allein auf dem Fluss der träge und ruhig dahinfloss.
Es war herrlich: die Uferwälder am Flussufer, Trauerweiden
die ihre Zweige ins Wasser hingen, dichtes Holundergestrüpp,
Erlen in deren Kronen Fischreiher die dem vorüberziehenden
Kahn nachblickten. Schwäne hoben verdutzt ihre Köpfe
und bestaunten uns mit arroganten Augen, Enten flatterten erschreckt
zur Seite, sich lautstark beschwerend. Die Luft war mild, roch
nach Wasser, nach Algen, nach Fisch. Wir saßen da, glücklich
an unseren Pfeifen ziehend und ließen es uns gut sein.
Dann mit einem Male: Totenstille! Der Motor war aus unerfindlichen
Gründen ausgegangen und Otto versuchte, verzweifelt mal
hier mal dort ziehend und an diesem oder jenem Hebel drehend
dies widergespenstige Ding wieder in Gang zu bringen. Vergebens
die Mühe, nichts rührte sich. Wir trieben um uns selber
kreisend im schwankenden Kahn den Fluss hinab. Wir begannen den
armen Otto anzumaulen warum er den Motor abgewürgt hätte,
dies sei keine Chorstunde sondern eine Angelegenheit auf Leben
und Tod, das machte Otto natürlich noch nervöser und
zappeliger. Die Frauen hörten dies natürlich und begannen
wie auf einen Schlag zu zetern und zu quengeln. Es war furchtbar
kann ich euch sagen.
Wir setzten uns, zündeten frische Pfeifen an und beratschlagten
was denn nun zu tun sei. Der Fluss war an dieser Stelle breit
und tief und irgendwo da vorne kam ein kleines Stauwehr, alles
also ein Grund zur ernsten Sorge. Dem Eugen, Organist der evangelischen
Kirche, schlug die ganze Aufregung auf den Magen und er musste
sich über die Bordwand beugen. Sehr unappetitlich war das
Ganze, muss ich euch ehrlich sagen.
Irgendwie begann der Motor plötzlich wieder zu knattern
und der Kahn zog an. Aber mit so einer Geschwindigkeit das Fred,
der am Ruder stand, rückwärts über Bord fiel.
Nun zeigte sich die große, die alles überragende Klasse
vom Schaufler: mit einem kühnen Satz ergriff er das verwaiste
Ruder, riss es herum, machte mit dem Kahn eine klassische Wendung,
überfuhr beinahe den im Wasser zappelnden Fred der sich
geistesgegenwärtig an der Bordwand festhielt, und steuerte
den Kahn direkt auf eine kleine schlammige Insel in der Mitte
des Flusses. Es gab einen Ruck, einige von uns flogen dabei über
die Bordwand und landeten im Morast und Modder. Der Kahn saß
fest.
Jetzt hättet ihr mal die Damen hören sollen! Schweigen
will ich darüber was sie alles wussten und für was
sie uns alle hielten. Es ist besser der geneigte Leser weiß
es nicht! Es war grauenvoll. Und welch schlimme Wörter sie
doch kannten! Es wäre interessant zu wissen, woher sie dies
alles wussten. Nun gut, lassen wir das.
Es blieb uns nichts anderes übrig, als auszusteigen und
zu versuchen den Kahn mit vereinten Kräften wieder flott
zu bekommen. Sowas ist leichter gesagt als getan, nichts klappte,
jeder Versuch scheiterte. Wir saßen fest, der Kahn im Modder
und wir bis zu den Knien ebenfalls. Ob wir nichts anderes könnten
als Mist zu machen fragten uns die Frauen. Und als dann der Schaufler
es wagte zu sagen dass dies jedem Seemann passieren könnte
und dem Most den Würsten und unseren Pfeifen schließlich
nichts passiert sei wurde das Gezeter um einige Grade schärfer
und in seiner Deutlichkeit unüberhörbar.
Guter Rat war nun teuer. Aber wir fanden keinen. Uns blieb
nichts anderes übrig als den Most und die Würste, und
uns selber natürlich auch, schwimmend ans Ufer zu bringen.
Bis wir endlich Alle an Land waren, wieder sicheren und vor allem
trockenen Boden unter den Füßen hatten vergingen sehr
dramatische Minuten aber wir schafften es. Setzten uns dann,
erschöpft und matt und füllten uns etwas Most in die
Krüge, so eine gewaltige Anstrengung musste ja schließlich
belohnt werden. Ja: sie schrie geradezu nach Anerkennung und
höchstem Lob. Und wie sollte wir auch ohne Most den bitterbösen
Blicken der Damenwelt Widerstand leisten können?
Der Vorschlag von Fred, dass wir ein Feuer entfachen, damit
sich die Damen ihrer nassen Kleidung entledigen konnten die wir
dann am Feuer trocknen würden, kam zur Unzeit und im total
falschen Moment. Er wurde mit einem Aufschrei der Wut und der
Entrüstung abgewiesen.
Mit dem geplanten Grillen, wir hatten darin ja schon große
Erfahrung, war es allerdings auch nichts, schlapp, nass und mit
Algen verziert lagen die vormals leckeren Dingerchen im Korb,
sie wurden als Fischfutter entsorgt. Ja, und dann machten wir
uns zu Fuß auf den Weg zurück in die Stadt, kämpften
uns durch zähes, dorniges Uferdickicht, rutschten aus und
fielen ins Wasser, rappelten uns wieder auf und erreichten spät
am Abend müde, dreckig und zerzaust die kleine Stadt.
Leider war an diesem Tage am Flussufer eine der höchst
angeberischen Darbietungen der Freiwilligen Feuerwehr, die ja
nicht gerade zu unserem Freundeskreis gehörte, bestaunt
von den zahlreichen Städtern die sich hier versammelt hatten.
Na ja, was soll ich sagen: Alle sahen unseren Auftritt, ahnten
sofort unser Missgeschick denn es war nicht verborgen geblieben
dass der Pfeifenraucherstammtisch eine Kahnpartie machen wollte.
Unter Hohn- und Spottrufen, es war beinahe ein Spießrutenlaufen,
trabten wir durch das Stadttor hinein in die Stadt. Automatisch
wollten wir in den "Schwarzen Drachen" um dort Trost
und Hilfe zu finden, um unser Schicksal würdig zu beklagen,
die Allerbesten aller Ehefrauen hatten aber etwas dagegen und
rüde, äußerst rüde sogar, wurden meine Freunde
darin gehindert.
Alleine hatte ich auch keine Lust noch in den Drachen zu gehen
und machte mich ebenfalls auf den Heimweg.
Ja, so war es beim Ausflug des Pfeifenraucherstammtisches. Und
nun kennt ihr die ganze Geschichte.
Lacht nun bitte nicht über uns, sondern habt Mitleid mit
uns Armen.
 |